P. Eggenberger u.a.: Seeberg, Pfarrkirche

Cover
Titel
Seeberg, Pfarrkirche. Die Ergebnisse der Bauforschungen von 1999 / 2000.


Autor(en)
Eggenberger, Peter
Herausgeber
Archäologischer Dienst des Kantons Bern
Erschienen
Bern 2009: Rub Media
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stefan Hächler, Edition Zurlaubiana, Aarg. Kantonsbibliothek Aarau

Ungleich ergiebiger war die Grabung der Kirche Seeberg in den Jahren 1999 / 2000, was sich auch im Publikationsumfang von 290 Seiten und einer CD mit 60 Excel-Tabellen niederschlägt. Während die Daten auf der CD wohl primär für die an den Forschungsdetails interessierten Fachkreise gedacht sind, versucht das Buch mit seiner attraktiven Aufmachung und zahlreichen Fotografien, Illustrationen, Skizzen und Tabellen auch interessierte Laien anzusprechen. Dass dies nicht durchwegs gelingt, liegt wohl am Anspruch der archäologischen Arbeitsweise, alles Vorgefundene, Ausgegrabene, Entdeckte so genau wie möglich bildlich festzuhalten, zu vermessen und zu beschreiben. Das ist hervorragend für die Wissenschaft und sehr wertvoll für die Archäologinnen und Archäologen, die die Ergebnisse überprüfen wollen oder mit diesem Material weiterarbeiten oder Vergleiche anstellen möchten. Für Nicht-Spezialisten ist es zwar faszinierend, aber mitunter eher verwirrlich und bemühend, mit dieser unendlichen Detailfülle konfrontiert zu werden. Schnell geht der Blick auf das Ganze verloren, unweigerlich fragt man sich wiederholt, welches denn nun die daraus resultierenden wichtigen Erkenntnisse seien. Zum Glück gibt es aber mehrere Orientierungshilfen, dank denen man sich trotz allem zurechtfindet. Da ist zuerst – ganz banal – das Inhaltsverzeichnis, das auch all die anderen Orientierungshilfen aufführt. Ihm entnimmt man, dass das Werk in drei Teile gegliedert ist. 1. Die archäologischen Forschungsergebnisse, die schwergewichtig die Bauforschung behandeln. 2. Die Funde, die aus römischer Keramik, mittelalterlichneuzeitlicher Gefässkeramik, Ofenkeramik, Baukeramik, Buntmetallen, Eisenteilen, Glas, Wandverputzstücken, vereinzelt anderen Gegenständen (unter der Rubrik «diverse Funde» aufgelistet) und 24 Münzen bestehen. 3. Die anthropologische Auswertung der Gräber. Jedem Teil und manchem Unterkapitel werden eine Einleitung und weitere erläuternde Kapitel vorangestellt und immer wieder werden die Ergebnisse zusammengefasst. Umfangreiche Listen der Funde und Befunde sind eingestreut. Eine je mehrseitige Zusammenfassung in Deutsch, Französisch und Englisch komplettieren das Werk.

Der «Berg», auf dem die heutige Pfarrkirche Seeberg steht, war bereits in römischer Zeit besiedelt. Davon zeugen die ausgegrabenen Reste eines römischen Gutshofs sowie um die 400 Fundgegenstände, v. a. Gefässscherben, aber auch Bruchstücke von Baukeramik (Ziegeln). In nachrömischer Zeit wurde das Gelände zuerst als Bestattungsplatz genutzt, danach wurde es zum Standort sakraler Bauten. Für das Mittelalter konnten sechs sich folgende Kirchenbauten nachgewiesen werden. Der erste, hölzerne Saalbau wurde auf das 9. Jh. datiert, wohl gegründet von der alemannischen Sippe, die bereits vorher den dortigen Bestattungsplatz benutzt hatte. Eine zweite Anlage ist bereits für das 9. / 10. Jh. nachgewiesen. In frühromanischer Zeit erfolgte der dritte Bau, nun vollständig gemauert. Er blieb in seinem Grundbestand bis 1516 in Gebrauch, wurde aber mehrmals umgebaut, so wohl um 1200 und um 1400. 1516 / 17 wurde dieser Bau vollständig abgerissen und durch eine neue Kirche ersetzt, die im Wesentlichen noch heute besteht. Von den 75 geborgenen Gräbern stammen 42 aus dem Frühmittelalter, 19 aus der Zeit zwischen dem 12. Jh. und 1516, 9 aus dem 16. bis 18. Jh. 18 Gräber stammen aus dem vorkirchlichen Bestattungsplatz. Deren Bauweise und demografische Zusammensetzung lassen vermuten, es handle sich um – noch heidnische – Mitglieder der erwähnten alemannischen Sippe. Insgesamt fallen bei den frühmittelalterlichen Bestattungen der hohe Anteil der Kinder von fast 50% und die beachtliche Körpergrösse der Erwachsenen sowie nur geringe krankhafte Veränderungen auf, was auf günstige Lebensumstände – zumindest bei der hier vermuteten Oberschicht – schliessen lässt. Für das Hoch- und Spätmittelalter sind mehr Innen- als Aussenbestattungen nachgewiesen. Bei den (an sich ab dem 8 Jh. bis ins Spätmittelalter untersagten) Innenbestattungendürfte es sich um zwei Geistliche handeln sowie um ungetauft verstorbene Kinder, die man heimlich in heiliger Erde bettete, in der Hoffnung, ihnen damit ein gutes Jenseits zu ermöglichen. Die neun spätmittelalterlich-neuzeitlichen Bestattungen sind Innenbestattungen von Männern. Gemäss der damals vorherrschenden Praxis dürfte es sich um Geistliche, weltliche Würdenträger oder Patronatsherren gehandelt haben.

Die mittelalterlichen Funde sind fast ausnahmslos keine Grabbeigaben. Vielmehr handelt es sich um Gegenstände und Gerätschaften, die für den Bau der Kirchen verwendet, von den Handwerkern im Alltag benutzt oder von Kirchenbenutzern in der Kirche liegengelassen worden waren, sowie um Reste der Mauern und Verputze der einzelnen Kirchenbauten. Dank ihnen konnte viel über Bauweise und Ausstattung der frühen Kirchenräume erfahren und manche Datierung vorgenommen werden.

Was in archäologischen Studien immer wieder verblüfft, ist die Methoden- und Technikvielfalt. Da werden historische Quellen ausgewertet, kunstwissenschaftliche Erkenntnisse angewandt, naturwissenschaftliche Analysen und medizinisches Know-how eingesetzt, handwerkliche, technische, gestalterische und künstlerische Fähigkeiten benötigt, diverse sozial- und geisteswissenschaftliche Modelle und Theorien herangezogen, um aus unendlich vielen kleinen Puzzleteilen Indizien und Beweise für archäologische Aussagen zu gewinnen. Soweit die Arbeit der Archäologie. Darauf aufbauend wäre eine Synthetisierung aller bisher untersuchten Kirchengrabungen im Kanton Bern (und natürlich weit darüber hinaus) wünschenswert, um all diese Ergebnisse zusammenzufassen und in einen weiteren historisch-wissenschaftlichen Kontext einbzubetten. Dabei könnte sicher auch die eine oder andere spekulative Mutmassung, die entweder auf nur wenigen oder nur fragmentarischen Fundstücken beruht, verifiziert oder falsifizert werden. Wären mit dieser Aufgabe – ebenso wie bei den Grabungen – nicht auch am besten interdisziplinäre Teams zu betrauen?

Zitierweise:
Stefan Hächler: Rezension zu: Eggenberger, Peter et al.: Seeberg, Pfarrkirche. Die Ergebnisse der Bauforschungen von 1999 / 2000. Herausgegeben vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern. Bern: Rub Media 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 4, 2012, S. 60-62.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 4, 2012, S. 60-62.

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